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28.08.2017

Bangen auf den letzten Metern

Die Winzer wollen ihre Trauben mit Backpulver, "Scharfem Blond" und Jägern bis zur Lese schützen - Doch die größte Gefahr ist der Regen

26.08.2017, 06:00 Uhr

Von Frederick Mersi

Schriesheim. Vor zwei Wochen hatte Georg Bielig noch optimistisch nach vorn geschaut, seine Arbeit im Weinberg war getan, dachte er. Doch kurz vor seinem Urlaub musste der Winzer noch einmal aktiv werden. "Denn die Geister, die ich rief, wurde ich nicht mehr los", sagt Bielig, als er sich die prallen Trauben in seinem Wingert anschaut. Regen hatte er sich einige Wochen zuvor noch gewünscht, doch dann kam viel mehr als gewollt: In wenigen Wochen verdoppelte sich das Gewicht der Trauben. Was zunächst positiv klingt, ist ein ernstes Problem: Große Trauben quetschen andere ab, die wiederum platzen auf. "Wie Kirschen", sagt Bielig.

"Und dann klatschen die Pilze in die Hände", drückt es Bieligs Kollege Max Jäck aus. Genauer gesagt ist es die Botrytis, der "Grauschimmelfäule", die sich in den offenen Stellen wohlfühlt und die Trauben faulen lässt. "Das ist jetzt eine kritische Phase", sagt Jäck. Er will mit Backpulver gegen die drohende Fäulnis vorgehen, das soll die Ausbreitung des Pilzes erschweren. "Das machen wir genauso", sagt Winfried Krämer, Aufsichtsratsvorsitzender der Winzergenossenschaft, "die Trauben sind nach dem vielen Regen stark aufgerissen".

Georg Bielig baut zudem unter anderem auf "Scharfes Blond": effektive Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien und Hefen. "Das kann man auch trinken, um die Verdauung anzuregen", sagt Bielig, "oder benutzen, um die Fenster zu putzen." Die Kleinstlebewesen sollen den pH-Wert der aufgeplatzten Stellen senken und so eine Sauerfäulnis verhindern. "Die wurden extra mit Chili, Knoblauch und Alkohol aufgezogen, um sie abzuhärten", sagt der Winzer, "sie sollen auch Schadinsekten fernhalten."

Zwar sind nicht alle Weinbauern von der Methode überzeugt. "Das ist wie Schulmedizin und Globuli", sagt Bielig und lacht, "aber ich habe es von Kollegen empfohlen bekommen, und 2017 ist eigentlich das ideale Jahr, um es auszuprobieren."

Doch letztlich werden alle Winzer entlang der Bergstraße nach einem Jahr voller Wetterschwankungen, von Frostschäden über Sonnenbrand und dem drohenden Vertrocknen bis hin zu tagelangen Regenfällen, jetzt auf halbwegs beständiges Wetter bis zum Lesebeginn hoffen müssen. Bielig hat sich auf den 6. September als Startdatum festgelegt, Jäck will anfangen, "sobald der Straßenfeststand abgebaut ist".

Bei der Winzergenossenschaft will man sich aufgrund der unklaren Wetterprognosen noch nicht auf ein konkretes Datum festlegen. "Es nutzt nichts, wenn wir jetzt Wein mit 60 Grad Öchsle ernten", sagt Winfried Krämer, "aber wir können eigentlich auch keinen Regen mehr vertragen." Deshalb hat er die Genossenschaftswinzer darum gebeten, ihre Mailadressen zu hinterlassen, um spontan mit der Lese beginnen zu können.

Doch nicht nur das Wetter ist ein kritischer Faktor auf den letzten Metern bis zur Lese. Mit dem sinkenden Säuregehalt einiger Traubensorten während der Reife bedienen sich auch Mäuse und Wildschweine dieser Tage gern in den Weinbergen. Nachts sind derzeit deshalb auch Jäger dort anzutreffen, die teils mit, teils ohne Schalldämpfer am Gewehr Wildschweine ins Visier nehmen. "Gravierende Schäden hatten wir bisher zum Glück noch nicht", sagt Krämer.

Relativ entspannt gibt sich in alledem Karl-Heinz Wehweck: Er will kein Backpulver mehr einsetzen, vertraut auf seinen Pflanzenschutz und die Laubarbeiten, mit denen er früh begonnen hat. Kommende Woche beginnt er bereits mit der Lese für seinen Neuen Wein. "Bei einigen Sorten werden auch Vorlesen nötig sein", sagt er. Das heißt für ihn und seine Helfer: Zweimal statt einmal in den betroffenen Wingert ausrücken.

Bis dahin muss aber auch er auf trockenes Wetter hoffen, damit ein unruhiges Winzer-Jahr einen versöhnlichen Abschluss findet.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung