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15.03.2018

Mittelstandskundgebung Mathaisemarkt: "Ich kann nur gewinnen"

Daniel Caspary, Festredner der BDS-Mittelstandskundgebung und CDU/CSU-Gruppenchef im Europäischen Parlament, im Interview

Von Frederick Mersi

Herr Caspary, Sie sind Karnevalist bei den "Piraten" in Stutensee. Mussten Sie schon in Bütt steigen?
Nein, noch gar nicht.

Sind Sie für das Mathaisemarkt-Festzelt bereit?
Ja, klar. Das werde ich jetzt unter Beweis stellen. Es ist auch nicht meine erste Rede in einem solchen Rahmen, gerade bei der CDU als heimatverbundene Partei.

Sind Sie nicht aufgeregt?
Ich kann im Moment nur gewinnen, weil die Leute mich anscheinend gar nicht auf der Liste hatten. Darüber freue ich mich. Und wenn ich mir die Redner vor mir anschaue, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich das ähnlich gut hinkriege.

Ist es Ihnen als ausgewiesener Fachmann für Handelspolitik nicht eigentlich ganz recht, im EU-Parlament nicht so oft im medialen Rampenlicht zu stehen?
Wir stehen nicht wirklich weniger im Rampenlicht. Ich habe aber einen riesengroßen Wahlkreis, der zehn Bundestags- und 19 Landtagswahlkreise umfasst. Da ist es klar, dass mich die Leute nicht so kennen wie ihren aktiven Bundestags- oder Landtagsabgeordneten. In meiner Heimatregion Karlsruhe sieht das ganz anders aus. Wir haben aber als EU-Abgeordnete schon das Problem, dass wir nicht so bekannt sind. Deswegen freue ich mich umso mehr, dass ich eingeladen bin. Und, ohne überheblich klingen zu wollen: Es gibt zwei Vorsitzende von CDU/CSU-Fraktionen, Volker Kauder in Berlin und ich in Brüssel. So unbedeutend ist das nicht.

Wie kann denn das EU-Parlament bürgernäher werden?
Gar nicht, glaube ich. Selbst im Bundestag schaffen es die jetzt 709 Abgeordneten nicht immer, Nähe herzustellen. Machen wir uns nichts vor: Bei den Größen der Wahlkreise kann ich das nie hinbekommen. Anders ist das bei den Multiplikatoren in der Region, Landräten oder Unternehmenschefs.

Ist das der größte Unterschied zwischen ihrem ersten Amt als Stadtrat in Stutensee und dem Abgeordneten-Dasein in Brüssel?
Kommunalpolitik war greifbar. Wenn man entschieden hat, dass ein Kindergarten saniert wird, hat man später gesehen, wie die Bagger anrollen und die Kinder sich ein Jahr später über das neue Gebäude freuen. Das ist viel unmittelbarer als das, was wir in Europa machen. Jetzt finde ich weniger in der Regionalzeitung als im Deutschlandfunk oder dem Handelsblatt statt. Das ist eine andere Wahrnehmungsebene. Das ist schade, aber wir arbeiten daran.

Sie haben bei den Sondierungsgesprächen in Berlin mitverhandelt. Verstehen Sie die Kritik, die am Koalitionsvertrag von Teilen der Union laut geworden ist?
Nein. Wir haben da ein massives Wahrnehmungsproblem. Nach Abschluss der Sondierungen haben 55 Prozent der Deutschen gesagt, dass sich die Union durchgesetzt hat - und nur 15 Prozent sahen die SPD als Sieger. Jetzt haben wir diese groben Linien im Detail ausgearbeitet und dabei nicht eine Position geräumt. Es gibt keine Bürgerversicherung, es gibt weiterhin unbefristete Arbeitsverhältnisse, die "schwarze Null" steht und statt Steuererhöhungen gibt es den Abbau des Solidaritätszuschlags. Wir haben nie nachgegeben, nur in kleinen Details. Trotzdem war die Stimmung auf einmal fürchterlich, weil wir das Finanz- gegen das Wirtschaftsministerium eingetauscht haben. Da kann man jetzt drüber jammern, inhaltlich ist aber alles festgeschrieben. Die Sozis werden auch in Zukunft nicht das Geld ausgeben können wie betrunkene Seeleute. Viele Mitglieder haben bemängelt, wir hätten die Kompetenz in Sachen Wirtschaft abgegeben. Jetzt haben wir dieses Ressort in Stuttgart und Berlin zurückbekommen.

Und dafür konnte man das Finanzministerium eintauschen?
Natürlich hätten wir das Finanzministerium lieber behalten. Aber wir haben im Gegenzug ein aufgewertetes Wirtschaftsressort bekommen, den gesamten Bereich Wohnungsbau und den Integrationsbeauftragten, den vorher die SPD gestellt hat. Damit haben wir die Themen, die den Menschen bei der Bundestagswahl unter den Nägeln gebrannt haben: Wie gehen wir um mit Migration, Außengrenzschutz, Abschiebungen und Integration? Wir haben doch geliefert. Auf jeden Fall haben wir nicht schlecht eingetauscht. Medial war die Reaktion eine Katastrophe, mit der Realität hat das aber nichts zu tun.

Die GroKo platzen lassen können nur noch die SPD-Mitglieder. Was ist Ihnen in diesem Fall lieber, Neuwahlen oder Minderheitsregierung?
Was passiert, entscheidet der Bundespräsident. Als Erstes wünsche ich mir von den SPD-Mitgliedern, dass sie das wahr werden lassen, was ihre Führungsleute ordentlich ausverhandelt haben – auch wenn ich von solchen Befragungen nach Koalitionsverhandlungen gar nichts halte, weil das in den Prozess reingehört. Aber für den Fall, dass eine GroKo scheitert, habe ich auch keine Angst vor einer Minderheitsregierung. An uns wären mögliche Koalitionen dann nicht gescheitert. Es wäre aber schon armselig, wenn sich im Bundestag keine demokratischen Partner fänden, die mit uns Verantwortung übernehmen wollen.

Hat Ihnen Ihr Ausflug nach Berlin gefallen?
Ein Ausflug war das nicht, ich bin ja im Präsidium der CDU vertreten. Politik in Berlin funktioniert anders als in Brüssel. Bei uns kommt zuerst die Sacharbeit, dann Machtpolitik. Die Reihenfolge scheint bei vielen in Berlin eher andersrum zu sein. In den Verhandlungen konnten wir Europäer einen guten Beitrag leisten.

Mit Martin Schulz hat ein prominenter EU-Abgeordneter den Sprung in die Bundespolitik gewagt – und ist damit gescheitert. Beeinflusst das Ihre Karriereplanung?
Nein, gar nicht. Ich überschätze mich nicht, im Gegensatz zu Martin Schulz. Außerdem ist bei uns in der Union das Miteinander deutlich besser als in der SPD. Wenn man sieht, wie sich Schulz und Gabriel da scheinbar gegenseitig kaputt geschlagen haben, ist das nicht der Stil, den wir pflegen.

Können Sie sich einen Wechsel nach Berlin vorstellen?
Nein. Wenn man kurzfristig bekannt werden will, geht das in Berlin schneller. Will ich aber mehr gestalten, geht das in Brüssel deutlich besser. In Europa setzen wir den Rahmen. In Deutschland wird in vielen Politikbereichen dieser Rahmen mit Inhalt gefüllt.

Sie beschäftigen sich unter anderem mit Freihandelsabkommen. Was hat ein Schriesheimer Handwerker von solchen Verträgen?
Das sieht man bei CETA, dem Abkommen mit Kanada, das seit September in Kraft ist. Wir haben unsere Unternehmen jährlich um 500 Millionen Euro Zölle entlastet und es geschafft, dass viele Firmen ihre Produkte in Kanada genau so wie in Deutschland und innerhalb der EU verkaufen dürfen. Das eröffnet direkt eine Riesenchance. Auch landwirtschaftliche Produkte wie Wein lassen sich dort jetzt besser verkaufen. Aber das Handwerk ist in vielen Fällen vor allem der Zulieferer von größeren Unternehmen in der Region, profitiert also indirekt durch vollere Auftragsbücher.

CETA ist nur vorläufig in Kraft getreten. Glauben Sie, dass es eines Tages von allen nationalen Parlamenten in der EU ratifiziert wird?
Da bin ich noch optimistisch. Aber eigentlich ist die Überlegung müßig, weil das Abkommen jetzt schon zu 98 Prozent in Kraft ist. Ich bin dennoch dankbar, dass eine mögliche Große Koalition vereinbart hat, CETA ratifizieren zu wollen. Im Vorfeld waren große Befürchtungen in der Bevölkerung geschürt worden, aber seit September haben wir gesehen, dass nichts davon eingetreten ist.

Das Abkommen mit den Vereinigten Staaten, TTIP, ist vorerst auf Eis gelegt. Die US-Regierung hat jetzt Strafzölle auf Aluminium und Stahl angekündigt. Steht uns ein neuer Handelskrieg bevor?
Bei den Amerikanern weiß man im Moment leider nie. Sie schneiden sich seit Trump oft ins eigene Fleisch. Ich kann die Androhung von Zöllen teilweise nachvollziehen, weil die Amerikaner in der Stahlindustrie ein massives Problem mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit haben. Allerdings konkurrieren sie vor allem mit den Chinesen, die Stahl zu Dumpingpreisen anbieten. Da ist die Frage: Wehrt man sich zielgerichtet gegen den, der einem Schaden zufügt, oder gibt man Partnern dabei noch eine mit? Wir werben seit Monaten für die erste Option. Wenn man uns eine mitgibt, möchte ich keinen Krieg vom Zaun brechen, aber zumindest zeigen, dass wir wehrhaft sind.

Werden Sie über dieses Thema auch am Mathaisemarkt sprechen?
Eher nicht. Da will ich lieber über greifbarere Themen reden. Zum Beispiel, was bis dahin in Berlin passiert ist oder was wir in den Koalitionsverhandlungen für den Mittelstand erreicht haben, etwa beim Thema Meister-BAföG oder Bürokratie-Entlastung. Ich möchte mich lieber auf so etwas als auf die große Weltpolitik konzentrieren.

Werden Sie Zeit für einen Besuch im Gewerbezelt des BDS haben?
Ja. Ich bin morgens bei einer CDU-Präsidiumssitzung in Berlin. Am 5. März wird ja das Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums bekannt gegeben. Dann geht es zum Mathaisemarkt und abends weiter nach Brüssel.

Entsprechend kurzfristig müssen Sie vielleicht Ihre Rede umschreiben.
Ich setze immer noch auf die Vernunft, Weitsicht und staatspolitische Verantwortung der SPD-Mitglieder.

Was werden Sie als Souvenir aus Schriesheim mitnehmen?
Vielleicht ein bisschen Heiserkeit. Ich bin ja da, um zu reden, nicht um Geschenke abzugreifen.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung