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31.05.2019

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ließ eine "Bürger-App" entwickeln

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ließ eine "Bürger-App" entwickeln

"Die kommunale Demokratie muss auf das Smartphone" – Bisher gute Erfahrungen

"Die Leute wissen recht gut, was sie wollen", sagt Palmer. Foto: Peter Dorn

Von Tim Müller

Schriesheim. Soll das Hallenbad saniert werden? Oder lieber ein Park aufgehübscht? Solche Fragen gehören zum Alltag in den Gemeinderäten. Selten darf der Bürger noch mitreden. Warum eigentlich? Diese Frage stellte sich die Stadt Tübingen - und beschloss, Deutschlands erste digitale Befragungsapp entwickeln zu lassen. In Schriesheim stellte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer kürzlich diese "Bürger-App" vor.

"In der Regel wissen wir gar nicht was die Leute wirklich von uns Kommunalpolitikern wollen", sagte Palmer. Oftmals arbeiteten Politiker in einer Blase, die von Wenigen bestimmt werde. Dieses grundsätzliche Problem sei für ihn der Grund gewesen, eine Bürgerplattform entwickeln zu lassen, die es ermögliche, die Einwohner zu konkreten Themen zu befragen.

Warum man sich für eine digitale Lösung, für das Smartphone entschied? "Die unter 30-Jährigen lesen kaum noch Tageszeitungen - Kommunalpolitik gibt es aber überwiegend nur in der klassischen Tageszeitung", sagte Palmer. Wolle die Politik mehr Menschen erreichen, dann müsse die kommunale Demokratie auf das Medium der Zukunft setzen.

"Dabei müssen aber die Grundregeln des allgemeinen Wahlrechts gelten - das heißt, nur eine Stimme pro Person, eine geheime Wahl und nur die Einwohner der jeweiligen Gemeinde", erklärte Palmer weiter. "Sie wollen ja nicht, dass die Stuttgarter darüber bestimmen, was in Schriesheim gemacht wird."

Im Fall der Tübinger Bürger-App funktioniert das durch personalisierte QR-Codes. Die Codes werden durch die Wahlbehörde für jeden Stimmberechtigten erstellt und anonymisiert an den Betreiber der App weitergeleitet. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass dieser nicht auf die Daten der Bürger zugreifen kann. "Die Anonymisierung durch Codes verhindert, dass jemand nachvollziehen kann, wie abgestimmt wurde", erklärte Palmer.

Ein zweites Exemplar des jeweiligen QR-Codes wird an den berechtigten Bürger per Post verschickt. Die rund 73.000 Berechtigten in Tübingen, alle Einwohner über 16 Jahren, können den Code dann mit Hilfe ihrer Smartphone-Kamera in die App laden. Das Programm erkennt den Code automatisch und schaltet anstehende Befragungen für den Benutzer frei.

Die Inhalte werden durch die Verwaltung der Stadt Tübingen vorgeschlagen und formuliert. Der Gemeinderat muss den Vorschlag und dessen Formulierung absegnen. Zudem stellt die Bürger-App Informationsmaterial zur Verfügung. Dabei wird sowohl über den jeweiligen Sachverhalt informiert als auch über die politischen Einschätzungen.

"Den Leuten mehr Information an die Hand zu geben, befähigt die meisten zu einer sehr vernünftigen Entscheidung", sagte Palmer. "Wir Politiker meinen immer, wir müssten den Leuten das Urteil abnehmen. Das ist völlig falsch. Die Leute wissen recht gut, was sie wollen. Wir müssen sie nur gut informieren und dann fragen, was sie wollen. Das ist der Kern."

Bis März 2019 hatten in Tübingen über 12.000 Berechtigte die App heruntergeladen und bei der ersten Befragung abgestimmt. Palmer nannte diese Zahlen ein Erfolg: "Für die erste Befragung, bei der die Bürger noch gar nicht wissen, ob das etwas bringt oder nicht, schon 15 Prozent der Leute zu erreichen, finde ich ein gutes Ergebnis". Die erste Abstimmung griff die Diskussion um den Bau eines neuen Hallenbads und eines Konzertsaals auf.

"Die Themen der Befragung sollten möglichst konkrete Vorhaben sein, die aber im Gemeinderat noch offen diskutiert werden", so Palmer. Es gehe auch nicht um eine abschließende Bewertung, sondern um ein umfangreiches Stimmungsbild.

Zusätzlich zur Abstimmung über die App können Bürger, die lieber auf Stift und Papier zurückgreifen, ihre Stimme auch klassisch per Papierbogen abgeben. "Wir wollen niemanden ausschließen. Auch ältere Bürger sollen ihre Ansichten einbringen können", so Tübingens OB.

Angesprochen auf die Gefahr einer Manipulation entgegnete Palmer: "Alle Bedenken an das Verfahren gelten im gleichen oder schlimmeren Maß auch für die Briefwahl". Wirkliche Sicherheit gäbe es nur vor Ort in der Wahlkabine. Zudem seien die elektronischen Sicherheitsverfahren von dritten geprüft und als so hoch eingestuft worden, dass eine Manipulation fast unmöglich sei.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung