Schriesheim im Bild 2023

11.02.2020

Wie die Ortsdurchfahrt ihr Gesicht veränderte

Vor zehn Jahren begann mit dem zweigleisigen Ausbau der RNV die Konversion des OEG-Areals - Dabei lief aber längst nicht alles rund

Von Frederick Mersi

Schriesheim. "Ich hatte so was vorher nie gemacht", sagt Kerstin Schlixbier. "Das ist eigentlich gar nicht meine Art." Aber als die massiven Neubauten in ihrer Nachbarschaft weiter wachsen sollten, organisierte Schlixbier, Anwohnerin der Schillerstraße, im Juli 2011 eine Unterschriftenaktion – mit fast 100 Unterstützern.

Immerhin ging es um das größte städtebauliche Projekt der jüngeren Geschichte Schriesheims: Auf dem 3,2 Hektar großen OEG-Areal sollten 14 Wohnhäuser und ein Senioren- und Gesundheitszentrum neu gebaut werden, der Raiffeisenmarkt plante einen Neubau im Süden des Geländes. Auf 50 Millionen Euro wurden die Investitionen 2011 geschätzt: 40 Millionen Euro von privater Seite, zehn Millionen Euro von der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH für die Sanierung des Bahnhofs.

Begonnen hatte die Planung dafür schon im Jahr 2007, konkrete Formen nahm sie ein Jahr später im Gewinner-Entwurf eines städtebaulichen Wettbewerbs an. Ernsthafte Kritik regte sich an der massiven Bebauung aber erst 2011 – bei Anwohnern wie Kerstin Schlixbier, aber auch im Gemeinderat.

"Angsträume" auf den Parkplätzen unter den Stelzen des Senioren- und Gesundheitszentrums wurden befürchtet. Zu allem Überfluss baten die Planer im Juli 2011 auch noch darum, die zulässige Gebäudehöhe von 12,50 Meter noch einmal um 50 Zentimeter beziehungsweise 1,25 Meter überschreiten zu dürfen.

Bürgermeister Hansjörg Höfer lacht, als er von der anschließenden Sitzung des Gemeinderats erzählt. "12,50 Meter hoch – und keinen Zentimeter mehr, hieß es damals." Im Juli 2011 war von dieser Entspanntheit wenig zu spüren. Der niederländische Investor Bouwfonds ließ nach dem Beschluss verlauten, man werde sich noch mal überlegen, ob man die geplanten 14 Häuser wirklich bauen wolle. "Wie ein Kaugummi" ziehe sich die Planung durch die kommunalpolitischen Diskussionen, sagte Ralph Rischmüller, Liegenschaftsverwalter der MVV Verkehr GmbH. Dass die Gebäude nicht weiter wuchsen, verbucht Schlixbier heute als Erfolg: "Ich glaube schon, dass wir mit der Unterschriftenaktion noch einmal dafür sensibilisiert haben."

Zehn Jahre nach dem Startschuss für den zweigleisigen Ausbau der Linie 5 in Richtung Norden und der damit verbundenen Konversion des OEG-Geländes ist von den Querelen wenig geblieben. Bouwfonds sprang nach dem Gemeinderatsbeschluss nicht ab, sondern baute wie geplant seine Wohnhäuser. Dort investierte der Verein "Postillion" auch 1,1 Millionen Euro in Räume für eine Kinderkrippe, sämtliche der 30 Plätze waren von Anfang an belegt. Auch die Wohnungen waren schnell verkauft. Das Senioren- und Gesundheitszentrum war schon beim Richtfest 2013 zu 90 Prozent belegt.

"Das ist ein städtebauliches Highlight in meiner Amtszeit", sagt Bürgermeister Höfer heute. "Die Menschen, die dort leben, fühlen sich wohl." Auch die Stadt investierte in das Gelände: Die Schillerstraße wurde für insgesamt 700.000 Euro saniert. Der Schillerplatz mit seinen markanten Cortenstahltoren und Wasserspielen kostete 1,1 Millionen Euro, der Raiffeisenplatz mit Boule-Gelände und Trampolin an der B 3-Unterführung schlug mit rund 600.000 Euro zu Buche. "Das kostet schon Geld", sagt Höfer. "Aber es ist besser geworden, als wir uns das vorgestellt haben." Auch Kerstin Schlixbier freut sich inzwischen über das Ergebnis der Konversion. "Es ist klasse, was da entstanden ist", sagt sie. Als Mutter profitiere sie besonders vom Schillerplatz mit seinen Wasserspielen: "Der funktioniert super."

Bürgermeister Hansjörg Höfer ist überzeugt, "dass das Gelände auch in 20 Jahren noch positiv beurteilt werden wird". Er habe 2006 noch bei einer Aufräumaktion des Bunds der Selbstständigen am alten OEG-Bahnhof mitgemacht. "Das war ein richtiger Schandfleck." Jetzt stehe dort eine moderne und zeitgemäße Bebauung. Und die Ortsdurchfahrt wird ihr Gesicht weiter verändern – durch Neubauten auf dem Gelände des ehemaligen Autohauses Gärtner und des Hotels Adler.

Hintergrund: Das 3,2 Hektar große OEG-Areal gehörte ursprünglich der Oberrheinischen Eisenbahn-Gesellschaft, dann der MVV Verkehr GmbH. Mit dem zweigleisigen Ausbau der heutigen RNV-Linie 5 vor 2010 begann in Schriesheim auch der Abriss eines Busdepots, eines Betriebsgebäudes, eines Kiosks, eines Getränkemarkts und der Kneipe "Lokschuppen". Die Planungen hatten schon 2007 begonnen. Ein Jahr später stand mit dem Gewinner-Entwurf eines städtebaulichen Wettbewerbs der Heidelberger Firma "re2area" eine konkrete Richtung für das Gelände fest.

Nach dem Beschluss des Bebauungsplans durch den Gemeinderat entstanden von 2012 an 14 Gebäude mit 90 Wohnungen, ein Teil davon als "Betreutes Wohnen" der AWO, und einer Kinderkrippe, finanziert vom niederländischen Investor Bouwfonds, sowie ein Senioren- und Gesundheitszentrum, finanziert von der Investorengemeinschaft Witteler/Burkhardt, mit einer Tagespflege der AWO, Arzt- und Therapeutenpraxen sowie Gewerbeflächen für eine Apotheke, eine Handlung für orthopädische Schuhe und ein Café.

Abgeschlossen wurde die Konversion im September 2019 mit der Eröffnung des Raiffeisenplatzes, zuvor unter dem Projektnamen "Platz Nord" bekannt. Dabei wurde auch die Unterführung unter der B 3 erneuert. Dort fehlt nur noch das Kunstwerk eines vom Jugendgemeinderat beauftragten Graffiti-Künstlers, der zuletzt wegen der regnerischen Witterung noch nicht an die Arbeit gehen konnte. fjm

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung