Schriesheim im Bild 2023

24.10.2020

Wie die EnBW einen Mann für tot erklärte

Der Energieversorger kündigte 76-Jährigen den Anschluss - Es dauerte einen Monat, bis er wieder seinen alten Vertrag bekam

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Die EnBW kann von Glück sagen, dass Winfried S. ein gebürtiger Ruhrgebietler ist: Die neigen – wie man es von Adolf Tegtmeier, der legendären Kunstfigur des Kabarettisten Jürgen von Manger, kennt – nicht zu Temperamentsausbrüchen. Dabei hätte S., der seit dreieinhalb Jahren in Schriesheim wohnt, allen Grund dazu. Denn der Energieversorger EnBW hat den 76-Jährigen für tot erklärt – und wollte ihn einen Monat lang nicht mehr zum Leben erwecken.

Das Drama nahm im September seinen Lauf. Mit Datum vom 19. erreichte den Schriesheimer ein Schreiben, in dem den Angehörigen kondoliert und der Stromvertrag gekündigt wurde. Das einzige Problem: Winfried S. war nicht tot und hatte auch nicht vor, seinen Vertrag bei der EnBW zu kündigen. Also rief er im EnBW-Kundenzentrum an, es sollte nicht zum letzten Mal sein. Zunächst wurde ihm gesagt, er solle einen neuen Vertrag abschließen, auch wenn er noch lebt. Für die EnBW sei S. tot – und mit ihm sein Vertrag.

Nach etlichen Telefonaten kam dann ein neuer Vertrag in Haus geflattert, der deutlich teurer war als der alte. Also hakte S. immer wieder nach, ob er nicht einen neuen Vertrag zu den alten Konditionen bekommen könnte. Irgendwann wurde ihm das versprochen – und S. wähnte sich schon am Ziel. Doch dann hörte er vier Wochen lang nichts mehr von der EnBW. Und langsam machte er sich Sorgen, dass ihm der Strom abgedreht würde, denn ihm buchte ja auch die EnBW nichts mehr vom Konto ab: "Und auf einmal stehe ich im Dunkeln."

Irgendwann wandte er sich an die Netze-BW, der Stromverteilungstochter der EnBW, mit den Worten: "Sie sprechen gerade mit einem Toten." Die Mitarbeiterin war baff: "Das ist aber komisch." Und S. gab zurück: "Das ist nicht komisch, das ist makaber." Bei allem Verständnis konnte man ihm nicht helfen und verwies zurück an den Mutterkonzern EnBW. Aber dort hing der neu-alte Vertrag weiter in der Luft.

Unterdessen versuchte S. immer wieder herauszubekommen, wer ihm den Stromvertrag gekündigt hatte. Das wurde ihm bei der EnBW aus Gründen des Datenschutzes verweigert. Doch einmal "verplapperte" sich eine Mitarbeiterin und nannte den Namen einer Frau Schneider, deren Zähler die EnBW unter derselben Schriesheimer Adresse führt. Doch S. kannte keine Frau Schneider, schon gar nicht in seinem Haus. Wahrscheinlich hätte es schlicht einen Zahlendreher bei der Zählernummer gegeben – und so war aus dem lebendigen S. die tote Frau Schneider geworden.

Jetzt könnte man ja einwenden, dass S. auch den Anbieter hätte wechseln können, wenn ihn die EnBW so hängen lässt, nachdem sie ihn für tot erklärt hat. Aber ein neuer Anbieter kommt für S. nicht in Frage: "Ich bin kein Freund von Wechseln. Ich hatte einen guten Vertrag mit der EnBW – und vorher noch nie Probleme." Weil er seit dem 22. September für die EnBW nicht mehr existierte, wandte er sich in seiner Not an die RNZ. Bei all dem Ungemach hat er seinen Sinn für Humor bewahrt: "Totgesagte leben länger!".

Ob Zufall oder nicht: Einen Tag nach der Anfrage an die EnBW-Pressestelle erhielt S. am Mittwoch, 21. Oktober, eine E-Mail vom Stromanbieter, genau genommen sogar zwei: In der ersten hieß es noch, er könne nicht zur EnBW wechseln, aber eine Stunde später wurde wieder zurückgerudert: Er bekommt jetzt doch seinen alten Vertrag zurück, plus einem 40-Euro-Wiedergutmachungsbonus. Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Eine halbe Stunde nach der erlösenden E-Mail kam noch ein Anruf von der Netze-BW: Man könne ihm leider auch nicht weiterhelfen. Der Zähler sei nach wie vor auf eine Frau Schneider zugelassen ...

Das war allerdings wohl wirklich ein Lapsus, denn die EnBW-Konzernsprecherin Angela Brötel versicherte am Freitag der RNZ, dass nun alles geklärt sei – und zwar im Sinne von S. Sie bestätigte, dass es bei der Abmeldung einer anderen Kundin einen Zahlendreher gegeben habe, was eigentlich nicht hätte passieren dürfen. Dass sein Anliegen erst so spät bearbeitet werden konnte, lag einerseits am weitverbreiteten Homeoffice vieler Mitarbeiter, einer größeren Umstellung der Computersysteme – und schließlich musste die Mehrwertsteuersenkung auch noch händisch in allen Verträgen der 5,5 Millionen Kunden eingetragen werden.

"Da kam leider eine Menge zusammen", sagt Brötel, "das ist ganz unglücklich gelaufen. Und es ist ärgerlich, denn das entspricht nicht unserem Anspruch an den Kundenservice." Angst, ganz ohne Strom dazustehen, hätte sich Winfried S. nicht machen müssen: "Da muss schon eine Menge zusammenkommen, bis das passiert. Wir suchen immer mit dem Kunden vorher eine Lösung."

Copyright (c) rnz-online

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung