Schriesheim im Bild 2023

03.04.2021

Flüchtlingshilfe lässt sich von Corona nicht ausbremsen

Vor sieben Jahren startete die Arbeit der Ehrenamtlichen. Das Problem sind im Moment die fehlenden Treffen.

Von Max Rieser

Schriesheim. Ein selbstständiges Leben in Würde. Das ist, was die Schriesheimer Flüchtlingshilfe erreichen will. Und auch wenn die Arbeit der Ehrenamtlichen in Pandemiezeiten schwerer geworden ist, gilt immer noch die Maxime: "Wir wollen den Menschen helfen und sie nicht bevormunden. Was sie aus eigenem Antrieb schaffen, ist für sie auch mehr Wert, als das, was wir ihnen abnehmen", berichtet Fadime Tuncer. Vor rund sieben Jahren gründete die Stadträtin der Grünen Liste mit einer Handvoll Schriesheimern die örtliche Flüchtlingshilfe, die als loser Zusammenschluss agiert.

Und das hat auch Gründe, sagt Tuncer: "Wir wollten extra keinen Verein gründen, weil dann alles oft schnell sehr starr wird. Wie es jetzt ist, können wir schnell auf Situationen reagieren und auf individuelle Bedürfnisse besser eingehen." So konnte beispielsweise der zeitweise Ausfall der Schriesheimer Tafel durch eine Kooperation der Flüchtlingshilfe mit dem Weinheimer "Foodsharing e.V." aufgefangen werden. Den Flüchtlingshelfern war das insbesondere ein Anliegen, da viele Geflüchtete, die noch keine Arbeit haben, auf solche Angebote angewiesen sind. "Foodsharing" bezeichnet eine Praxis, durch die das Wegwerfen von Lebensmitteln verhindert werden kann, indem über verschiedene Verteiler die Mitglieder Übriggebliebenes anbieten können. Andere, die einen Bedarf an kostenlosen Lebensmitteln haben oder sie vor dem Wegwerfen bewahren wollen, können die Angebote dann abholen. An zwei Tagen in der Woche wurden die gesammelten Artikel an drei Standorten in Schriesheim verteilt.

Dass heute auf solche Situationen eingegangen werden kann, freut Tuncer. Zu Beginn der Initiative mussten die Flüchtlinge vor allem schnell mit Kleidung, Obdach und die Kinder mit einem Schul- oder Kindergartenplatz versorgt werden. Heute ist das Angebot eher beratender und unterstützender Natur. Beispielsweise, wenn wie aktuell ein junger Mann aus Gambia Hilfe in den Fächern Deutsch und Wirtschaft sucht, da die Abschlussprüfung seiner Ausbildung zum Maler und Lackierer ansteht. Dass der Kontakt weniger eng wurde, liegt auch daran, dass die Menschen dezentral in Wohnungen untergebracht sind und der Kontakt etwas anonymer wurde.

Onlinetreffen sollen die Isolation der Flüchtlinge vermeiden helfen

"2014 kamen die ersten 25 Schutzsuchenden aus Syrien. Mittlerweile sind es 250 Menschen. Da hat man nicht mehr zu jedem Kontakt", sagt die Bürgermeisterstellvertreterin. Da die Schriesheimer schnell helfen wollten, kamen zu den ersten Informationsabenden teilweise bis zu 70 Hilfswillige. Dadurch konnten die ersten Familien, die ankamen, eins zu eins betreut und eingegliedert werden. Dazu findet seitdem ein wöchentliches Willkommenstreffen im evangelischen Begegnungszentrum "Mittendrin" statt. Hier wurde schon am Anfang Deutschunterricht vermittelt, Kunstkurse organisiert oder auch bei der Vermittlung an Sportvereine geholfen, die immer gern bereit waren, Geflüchtete in den Sport zu integrieren.

Ein weiterer Grund für die Veränderung in der Arbeit der Flüchtlingshilfe ist auch, dass es zunächst keine Integrationsbeauftragten gab. Erst durch die Integrationsmanagerinnen Barbara Gutruf-Schröder und Helena Weber gab es zwei Personen, die fest mit den Anliegen der Geflüchteten betraut waren. Das nahm den Ehrenamtlichen viel Bürokratiearbeit ab. Dadurch blieb mehr Zeit für persönliche Aktionen, wie das Verteilen von Urkunden an Ausbildungsabsolventen, um ihre Leistungen zu würdigen.

Und auch Corona bedeutete einen Einschnitt für die Gruppe um Fadime Tuncer. Die wichtigen persönlichen Treffen fielen weg. Eine Frau, die seit einem Jahr in Schriesheim lebt, hatte wegen des Lockdowns noch niemanden kennenlernen können. Um die Menschen aus der Isolation zu holen und ihnen weiter einen Platz in Schriesheim zu geben, organisiert Tuncer seit einigen Wochen Onlinetreffen mit geflüchteten Frauen. Hier können sie sich über ihre Erlebnisse in der Stadt austauschen und sich besser kennenlernen.

Auch eine Fotoaktion wurde so ins Leben gerufen, bei der die Frauen Bilder von ihren Lieblingsorten in Schriesheim machen und sie in die Gruppe tragen. Im Idealfall soll aus den Bildern später eine Ausstellung entstehen. Und auch für die Kinder hat Tuncer eine Idee: "Ich würde sehr gern, wenn es wieder wärmer wird, eine regelmäßige Vorlesestunde im Garten vom ,Mittendrin’ anbieten. Das kann die Kinder zum Lesen motivieren und sie auch schulisch fördern." Generell schätzt sie die facettenreiche Arbeit mit den Menschen sehr.

Als nächsten Schritt gründeten Flüchtlingshilfe, Einzelpersonen und die evangelische Kirche eine Initiative, um Schriesheim als "Sicheren Hafen" eintragen zu lassen (siehe unten). Mit dieser Aktion der "Seebrücke" können Städte signalisieren, dass sie sich bereit erklären, Geflüchtete aufzunehmen und ihnen einen sicheren Ort zum Bleiben anzubieten.

Schriesheim tritt "Seebrücke" bei
Stadt wird zum "sicheren Hafen"
Schriesheim. (hö) Die Stadt wird zu einem "sicheren Hafen für Geflüchtete" – indem sie sich der Aktion "Seebrücke" anschließt. Das beschloss der Gemeinderat am Mittwochabend. Praktische Folgen hat dieser erfolgreiche Antrag, den die Evangelische Kirchengemeinde, die Flüchtlingshilfe und etliche Bürger eingebracht hatten, erst mal nicht, denn Schriesheim hat bei der Flüchtlingsaufnahme so gut wie keine Kompetenzen. Aber die Unterzeichner des Antrags sehen darin auch eher einen Beitrag zur Willkommenskultur und zum Willen, die katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern nicht hinnehmen zu wollen. Unter anderem soll sich die Stadt dafür einsetzen, mehr Geflüchtete, auch über die bisherigen Verteilsysteme hinaus, aufzunehmen, ihnen Bleibeperspektiven anzubieten und Abschiebungen abzulehnen.

Die Befürworter, wie Fadime Tuncer (Grüne Liste) oder Sebastian Cuny (SPD), sahen durchaus, dass der Beitritt zur "Seebrücke" eher symbolischer Natur sei. Bürgermeister Hansjörg Höfer meinte, damit werde ein Zeichen gesetzt: "Ja, wir schauen hin, was in den Flüchtlingslagern geschieht – auch wenn wir keine fertige Lösung haben." Genau das störte Christiane Haase (CDU): "Ich sehe für Schriesheim keinen Handlungsspielraum", denn Asylpolitik sei Sache des Bundes und die Zuweisung der Geflüchteten Sache des Kreises. Ulrike von Eicke (FDP) hielt nichts von "Symbolpolitik". Wenn schon, solle man nach Ladenburger Vorbild eine Partnerschaft mit einer Stadt in einem Entwicklungsland eingehen. Thomas Kröber (AfD) sagte, er sei "für Schriesheim und nicht für die ganze Welt zuständig"; durch solch einen Beschluss würden nur Anreize zur Flucht geschaffen.

Die 16 Stadträte der Grünen Liste und der SPD sowie Teile der Freien Wähler stimmten dafür, 10 Räte dagegen (CDU, FDP, AfD und der andere Teil der Freien Wähler); Christiane Haase (CDU) und Liselore Breitenreicher (Bürgergemeinschaft) enthielten sich.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung