Schriesheim im Bild 2023

22.11.2021

Bürgermeisterwahl Schriesheim: Zwei seriöse Kandidaten - und ein ratloser

Bei der Bürgermeistervorstellung in der Mehrzweckhalle gab es wenig Neues von Tuncer und Oeldorf. Oelschläger war bei vielen Themen überfragt.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Der große Eklat bei der Bürgermeisterkandidatenvorstellung am Freitagabend in der Mehrzweckhalle blieb aus. Dauerkandidat Samuel Speitelsbach, der zumindest das Potenzial gehabt hätte, die Veranstaltung durch wirre Reden "aufzumischen", kam erst gar nicht. Dafür war neben den beiden längst gesetzten Bewerbern Fadime Tuncer und Christoph Oeldorf Helmut Oelschläger aus Wilhelmsfeld erschienen. Seine Ausführungen ließen die gut 80 Zuhörer eher verwundert und peinlich berührt zurück. Die RNZ fasst die zweistündige Veranstaltung zusammen.

> Die Rahmenbedingungen: Zunächst kamen deutlich weniger Zuhörer in die Mehrzweckhalle als sonst – 2013 waren es noch gut 1000. Das war vor allem der zugespitzten Coronalage geschuldet. Deswegen hatte das Rathaus auch einen Live-Stream eingerichtet, den man sich ab Samstag auch als Aufzeichnung anschauen konnte. Bis zum Sonntagnachmittag wurde das Video auf Youtube etwas über 350 Mal angeklickt. In der Halle galt 2G, die Gäste mussten Masken tragen. Bürgermeisterstellvertreter Michael Mittelstädt begrüßte in Vertretung des an Corona erkrankten Bürgermeisters Hansjörg Höfer dessen Amtskollegen aus Heddesheim, Michael Kessler, und aus Ilvesheim, Andreas Metz. Und er erklärte die Spielregeln: Jeder der drei erschienen Kandidaten hatte 15 Minuten Zeit, um sich vorzustellen, dann folgten zwölf Fragen, die kurz zuvor gezogen worden waren – und zwar "nicht gefiltert" (Mittelstädt). Oeldorf, Oelschläger und Tuncer hatten fünf Minuten Zeit, die zu beantworten – was sie aber selten ausschöpften. Moderiert wurde das alles von Markus Brock vom SWR ("ich habe in Heidelberg studiert und kenne die Region gut").

> Die Vorstellungen: Oeldorf und Oelschläger nutzten ihre 15 Minuten voll aus, Tuncer, die als einzige völlig frei sprach, war eine Minute früher fertig. Oeldorf, der als Erster sprach, will "Schriesheim gemeinsam mit Ihnen weiterentwickeln", die Stadt mit ihren Ortsteilen sei ihm eine "Herzensangelegenheit" und zudem "ein echtes Schmuckstück an der blühenden Bergstraße". Er habe sich "nicht leichtfertig entschieden", nach viereinhalb Jahren Wilhelmsfeld zu verlassen, aber dort seien "der Entwicklung enge Grenzen gesetzt". Zumal er "enge Verbindungen" in die Stadt habe, hier "wohnen fast alle meine Freunde", und zwischen ihm und seiner heutigen Frau Laura habe es "im Zehntkeller gefunkt". Er versprach, als Bürgermeister "alle Schriesheimer mitzunehmen" und sie frühzeitig bei Entscheidungen zu beteiligen. In der Stadt müsse in den nächsten Jahren viel investiert werden, aber er wolle die Finanzierung auf solide Füße stellen. Ein besonderes Augenmerk solle den Vereinen gelten, "dem Rückgrat dieser Stadt", die Kommunikation zwischen ihnen und dem Rathaus müsse enger werden. Zwar ist auch er für eine Mobilitätswende, "aber ohne Verbote, nur durch Anreize": "Die Innenstadt braucht Parkplätze."

Tuncer verwies darauf, dass nun wieder "die Pandemie unseren Alltag bestimmt", sagte aber auch mit Blick auf Schriesheim: "Die Solidarität funktioniert. Für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität stehe ich." Die Kandidatin widmete sich relativ lang ihrer Biografie und ihrem Ankommen in Schriesheim ("die wichtigsten Entscheidungen habe ich hier getroffen") und wieso sie kandidiert: Das war "die Resonanz aus der Bürgerschaft". Konkret versprach auch sie den Bürgern "Transparenz und Beteiligung": "Gemeinsam mit Ihnen will ich Schriesheim voranbringen." Allerdings verwies sie auf ein "enges finanzielles Korsett" in den nächsten Jahren. Als Bürgermeisterin wolle sie "Schriesheim zur ersten klimaneutralen Stadt an der Bergstraße machen": Die städtischen Gebäude sollen energetisch saniert und das Radwegenetz solle ausgebaut werden. Sie plädiert für "mehr Grün in der Stadt" und will "dem Flächenfraß Einhalt gebieten", dabei aber "Quartiere entwickeln, die nicht investorengesteuert sind".

Oelschläger versprach: "Ich will es besser machen als Oeldorf und Tuncer", seine Kandidatur richtet sich "primär an die Jungen". Und deswegen las er auch aus seiner Bewerbung an die Stadtverwaltung vor: Sie sucht gerade eine pädagogische Fachaufsicht für die kommunalen Kindergärten (RNZ vom 25. September), für die sich der Wilhelmsfelder geeignet hält. Deswegen, weil er gut mit den Menschen kann, sich ihnen "über ihr Tun nähern" will und analytisch vorgeht. In seinen nicht immer strukturierten Ausführungen streute er auch seine Lebensgeschichte ein: So wurden seine Kinder "aus Deutschland entführt", "die staatliche Macht hat sich mehrfach an mir vergangen", er habe "25 Jahre Unrecht erlitten". Zum Schluss sprach er noch den jüngsten Bürgerentscheid in Wilhelmsfeld an, den Oeldorf verloren habe.

> Die zwölf Fragen: Gleich drei beschäftigten sich mit der Qualifikation fürs Bürgermeisteramt. Oeldorf verwies auf seine Zeit als Hirschberger Gemeinderat, sein Verwaltungsstudium, und mit seinen viereinhalb Jahren als Wilhelmsfelder Bürgermeister habe er "eine gute Basis". Auch Tuncer "ist die Verwaltung nicht neu", allein schon, weil sie seit über zwei Jahren Bürgermeisterstellvertreterin sei. Als langjährige Kreisrätin sei sie in der Region gut vernetzt, und als Mitarbeiterin des grünen Landtagsabgeordneten Uli Sckerl habe sie viele Kontakte ins Land. Oelschläger stammt "aus einer kommunalpolitischen Familie", sein Vater war in Wilhelmsfeld Stimmenkönig, aber vor allem bringe er "eine andere Sichtweise in die Verwaltung": "Ich gehe zu den Leuten hin und warte nicht, bis die zu mir kommen." Er versprach, da er lange im Vertrieb tätig war, für "die Firma Schriese" mehr Kundenorientierung. Und die formalem Abschlüsse? Für Tuncer ist "nicht wichtig, was man studiert hat, sondern wie man das Bürgermeisteramt ausführt". Es komme auf den Kommunikationsstil an, "den kann man nicht studieren". Oelschläger stimmte ihr zu und sagte über sich: "Als Ingenieur habe ich immer eine gute Lösung gefunden."

Schließlich noch Kompetenz und Erfahrung bei der Personalführung: Oeldorf nannte neben seinem Bürgermeisteramt auch seine Zeit als stellvertretender Leiter der Arbeitsagentur-Dienststelle Weinheim. Tuncer bekannte, da habe sie "noch keine Erfahrung", aber sie habe Empathie und könne gut zuhören. Oelschläger erklärte, er komme aus der Wirtschaft: "Im Prinzip ist das überall das Gleiche."

Beim Thema "Windräder" zeigte sich Tuncer "grundsätzlich offen", allerdings entscheide sie über die Standorte "nicht alleine", zumal das "ein sehr strenges Verfahren" sei. Auch Oelschläger sagte: "Das kann kein Einzelner entscheiden." Oeldorf positionierte sich mit einer klaren Ablehnung: "Das ist nicht sinnvoll an der Bergstraße, hier gibt es nicht genug Wind." Das gelte auch im Grunde für den gesamten Vorderen Odenwald.

Einig sind sich die drei Kandidaten auch, wenn es um die Vereine geht. Sie wollen mit ihnen engeren Kontakt halten – sei es mit einem "Vereinsstammtisch" (Oeldorf) oder mit einem "festen Ansprechpartner im Rathaus" (Tuncer).

Auch wenn erst heute Abend die Kandidatenvorstellung in Altenbach ist: Eine Frage befasste sich mit der Zukunft des dortigen Ortschaftsrats: Ist der angesichts der vielen Streitereien noch sinnvoll? Tuncer und Oeldorf wollen an diesem Gremium festhalten. Die Kandidatin will "als Bürgermeisterin moderieren, um die unterschiedlichen Strömungen zusammenzubringen", während ihr Mitbewerber darauf hinwirken will, "das Sachliche vor die Emotion zu stellen". Oelschläger ist als Wilhelmsfelder "zu wenig in der Materie drin", er wolle es sich von den Altenbachern erklären lassen, was das Problem sei.

Gleich zweimal wurden nach den Schulen und ihrer Sanierung gefragt: Tuncer und Oeldorf sprachen sich für weitere Sanierungen aus. Während Oeldorf zusammen mit dem Gemeinderat "das finanzielle Risiko minimieren" will, würde Tuncer gern mehr Aufmerksamkeit auf das Programm der Schulen legen, denn: "Bildung ist mehr als ein schönes Gebäude."

Eine Frage war aber so kompliziert formuliert mit Fachbegriffen wie "agiles Projekt" und "iterativer Prozess", dass es Oelschläger erst mal die Sprache verschlug ("bei schwierigen Fragen komme ich immer als Erster dran"). Aber offenbar ging es darum, ob das Rathaus etwas von der Art und Weise, wie das Gymnasium saniert wird, für andere Projekte lernen kann. Kann man, fanden zum Schluss alle drei Bewerber, vor allem könne die Verwaltung mehr Flexibilität lernen, so Oeldorf.

Und wie will man Mehrheiten finden? Für Tuncer spielt "Kommunikation die entscheidende Rolle". Man müsse die Projekte gut vorbereiten, eine Gemeinderatsklausur sei zur Gesamtplanung gut. Das sah auch Oeldorf so, während Oelschläger meinte, man müsse offen an die Sache herangehen und "nichts versteckt lassen".

Alle drei versprachen, mehr für die Jugend zu machen, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten: Oeldorf will die Jugendlichen selbst fragen, was sie wollen ("es spielt keine Rolle, was ich will"), Tuncer fand, dass es auch Angebote mitten im Ort geben sollte. Oelschläger will auch erst einmal die Jugendlichen selbst fragen und dann in die eigene Verantwortung nehmen. Dabei wurde er von seinen Emotionen überwältigt und konnte kaum weiterreden.

Eine Spezialfrage aus dem Betreuten Wohnen – am Schillerplatz hat die AWO wohl ihren Vertrag gekündigt – konnten die Bewerber kaum beantworten, denn das ist außerhalb der Kompetenz der Kommunalpolitik. Aber alle drei signalisierten Gesprächsbereitschaft und ihre Mithilfe bei der Suche nach einem neuen Dienstleister.

Und schließlich die letzte Frage: Wie geht man mit den Nutzungskonflikten im Wald um? Oelschläger will auch hier "mit den Leuten reden" und kündigte einen Runden Tisch an. Oeldorf kann sich eine breit angelegte Info-Kampagne vorstellen ("bevor die große Keule des Gesetzes kommt"). Und Tuncer empfahl als Gast in der Natur "den nötigen Respekt". Vielleicht könne man ja auch die Sportarten im Wald auf separaten Wegen trennen.

Link zum Mitschnitt auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=Ieus5eOA4D8

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung