Schriesheim im Bild 2023

24.11.2021

Bürgermeisterwahl Schriesheim: Bizarrer Auftritt eines Kandidaten

Bei der Vorstellung betraf die Hälfte der zwölf gestellten Fragen die Gesamtstadt. Und bei den Antworten von Helmut Oelschläger musste ein Alt-Stadtrat eingreifen.

Von Micha Hörnle

Schriesheim-Altenbach. Auf eines kann man sich im Stadtteil verlassen: Die Leute kommen! So ist das bei den Ortschaftsratssitzungen, die deutlich besser besucht sind als die des Gemeinderats in Schriesheim, und so war das auch am Montagabend bei der Bürgermeisterkandidatenvorstellung: 45 Zuhörer saßen in der Altenbacher Mehrzweckhalle, am Freitag waren es in Schriesheim 80. Tatsächlich erinnerte viel an den Freitagabend: Die Spielregeln (je 15 Minuten Vorstellung, dann zwölf Fragen mit maximal fünf Minuten Antwortzeit pro Kandidat) waren die gleichen – und auch die Besetzung.

Von den vier Kandidaten waren drei gekommen: Fadime Tuncer, Christoph Oeldorf und Helmut Oelschläger; Samuel Speitelsbach fehlte wieder. Oelschläger Ausführungen waren so lang wie wirr, dass am Ende Alt-Stadtrat Friedrich Ewald auf ihn zuging und fragte, ob solch ein Auftreten nicht der Würde der Veranstaltung abträglich sei.

Dieses Mal moderierte niemand vom SWR, sondern der Zweite Bürgermeisterstellvertreter Michael Mittelstädt. Dabei verlas er eine Stellungnahme des Rathauses und des Gemeindewahlausschusses zum System der Bürgerfragen – als Reaktion auf den RNZ-Kommentar in der Montagsausgabe: "Wir haben versucht, größtmögliche Neutralität zu gewährleisten." Außerdem habe die Verwaltung für die Organisation der Kandidatenvorstellung "viel Lob von den Bürgern bekommen".

> Die Vorstellung: Oeldorf wiederholte in großen Teilen seine Rede vom Freitag – wenn auch garniert mit einigen Altenbacher Einsprengseln wie dem geplanten Café, das er besucht habe, und der Forderung nach einem Radweg in Richtung Schriesheim: "Die Chancen stehen ganz gut." Besonders wichtig ist ihm gerade in Altenbach, das ja nur in Teilen mit ganz schnellem Internet versorgt werden soll, der "Ausbau der Digitalisierung".

Tuncer hingegen – sie sprach wieder frei – konzentrierte sich in ihren 15 Minuten fast vollständig auf Altenbacher Themen, angefangen beim 50. Jubiläum der Eingemeindung im nächsten Jahr. Für sie ist es entscheidend, die Grundversorgung mit Kindergarten, Grundschule und Hort aufrechtzuerhalten, "damit wir mehr Familien hierher bekommen". Sie will aber auch die offene Jugendarbeit – geplant im umgebauten Gemeindehaus – etablieren. Sie fordert Tempo 30 für die ganze Hauptstraße, einen besseren Bustakt und auch den Radweg ("dafür habe ich mich als Kreisrätin eingesetzt"). Die Feuerwehrhalle gegenüber des heutigen Gerätehauses will sie forcieren – zumal die Wehr ja selbst für diesen Standort ist –, und die abgebrochene Bürgerwerkstatt zur Nahversorgung wiederbeleben. Und nicht zuletzt soll an den Schildern der Kernstadt wieder "Altenbach" stehen und nicht "Schriesheim-Ost".

Oelschläger hingegen arbeitete sich in seiner Redezeit ausschließlich an Oeldorf ab – und zwar in dessen Funktion als Wilhelmsfelder Bürgermeister. Oelschläger, auch Wilhelmsfelder, sprach vor allem über den Bürgerentscheid in der Kommune, bei dem vor zwei Monaten ein Gewerbegebiet am Schriesheimer Hof abgelehnt wurde und warf – warum auch immer – Oeldorf "Verrat am Wähler" vor. Ein "Programm" Oelschlägers war nicht erkennbar.

> Die zwölf Fragen: Nur sechs beschäftigten sich mit Themen aus Altenbach, die restlichen sechs wurden mit denen aus Schriesheim aufgefüllt, die am Freitag nicht zum Zuge gekommen waren – und dabei wurde, mal wieder, nach der Qualifikation der Kandidaten fürs Bürgermeisteramt gefragt.

Der Verkehr in der Ortsmitte sei "eine Katastrophe", vor allem wegen der parkenden Autos. Was tun die Kandidaten dagegen? Oeldorf will den Kontakt zur Verkehrsbehörde suchen, die sich dann die Situation vor Ort bei einer sogenannten Verkehrstagefahrt anschauen sollte. Grundsätzlich könnte man die Parkplätze markieren, allerdings könnten dann welche wegfallen. Tuncer hatte beobachtet, dass die neuerliche Umleitung zu einem Chaos geführt habe. Man müsse die Situation vor Ort analysieren, mit den Bürgern reden (um so für Akzeptanz zu sorgen) und die Beschilderung klarer machen. Oelschläger bekannte, er habe "keine Lösung dafür", man müsse mit den Altenbachern reden.

Muss das Parken auf Gehwegen sein? Und wie sollte eine Mobilitätswende aussehen? Für Tuncer sollte das Auto "weniger wichtig" sein: Der Nahverkehr und das Radwegenetz müssten ausgebaut werden, und schließlich wären Kontrollen nicht schlecht. Auch Oeldorf kann sich vorstellen, "Alternativen zu schaffen", allerdings hält er es "für unrealistisch, dass jeder jetzt sein Auto stehen lässt". Viel wäre erreicht, wenn man den innerörtlichen Verkehr reduzieren könnte. Oelschläger wiederum hofft auf die Jugend, die es anders (und besser) mache als die Alten.

Bei Bildung und Erziehung sind sich Tuncer und Oeldorf weitgehend einig. Allerdings kann sich Oeldorf vorstellen, bei der Kleinkinderbetreuung "neue Wege zu gehen" und eventuell externe Dienstleister mit ins Boot zu nehmen, während sich Tuncer für eine Einkommensstaffelung der Beiträge aussprach. Oelschläger verlas mal wieder seine Bewerbung als pädagogische Fachaufsicht für die kommunalen Kindergärten Schriesheims ("die müsste man eigentlich in alle Haushalte werfen"), dann sprach er über seine eigenen Kinder und wurde von seinen Emotionen überwältigt.

Wie kann Altenbach für Kinder attraktiver werden – abgesehen vom geplanten Spielplatz? Oeldorf visiert einen zweiten Spielplatz an, will das Angebot der Vereine fördern, mehr Spielstraßen einrichten und generell mehr Raum zum Spielen geben – zum Beispiel im Schulhof. Tuncer – auch sie ist für einen zweiten Spielplatz – plant nicht nur einen Sozialarbeiter für Jugendliche, sondern auch für Kinder, und man könnte öfters so etwas wie den "Basti-Bus" hierher holen, wie sie es am vorletzten Wochenende getan hat. Oelschläger will "nicht etwas für die, sondern mit den Kindern machen".

In Sachen Windkraft gab es die deutlichsten Unterschiede: Oeldorf klar dagegen, Tuncer setzt auf die Ergebnisse der Prüfung, Oelschläger sieht eher die technischen Probleme dieser Energieerzeugung. Konsens dagegen beim Artenschutz: mehr Biotope und ihre Vernetzung; Tuncer kann sich die Renaturierung der Steingärten, auch der städtischen wie an der Branichzufahrt, vorstellen.

Danach folgten die gesamtstädtischen Fragen wie die Digitalisierung der Schulen (Tuncer und Oeldorf dafür, aber nicht von einer Kommune allein zu stemmen), die Ideen zur klimaneutralen Stadt (die Tuncer und Oeldorf vor allem als Abkehr vom Auto und als Aufforderung zu mehr Wärmedämmung verstehen), die Verringerung des Plastikmülls (Tuncer und Oeldorf sehen die Stadtverwaltung dabei als Vorreiter), das Verhältnis zum Gemeinderat (generell mehr Kommunikation und weniger Emotion) und schließlich die Zukunft des Ortschaftsrates (nicht abschaffen).

Nach zweieinhalb Stunden – eine halbe Stunde länger als am Freitag in der Kernstadt – war alles ausgestanden, und Oelschläger hatte mit seinen weitschweifenden und konfusen Antworten sogar die gutwilligsten Zuhörer gegen sich aufgebracht.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung