Schriesheim im Bild 2023

09.02.2022

Warum man die Hans-Pfitzner-Straße umbenennen möchte

Warum man die Hans-Pfitzner-Straße umbenennen möchte

Es war der Musikwissenschaftler Hans Rectanus, der 1976 den Vorschlag machte, eine Straße im „Komponistenviertel“ nach Hans Pfitzner zu benennen. Foto: Dorn
Der Ideengeber von damals würde heute keiner Straße mehr den Namen des antisemitischen Komponisten geben.

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Wie die Hans-Pfitzner-Straße in Zukunft heißen wird oder ob ihr Name bestehen bleibt, ist weiter unklar. Einerseits gibt es erste Vorschläge, nach wem sie umbenannt werden könnte, andererseits erhielt die RNZ weitere Informationen, wie die Straße 1976 zu ihrem Namen kam. Der damalige Ideengeber, Hans Rectanus, versichert allerdings, dass er damals noch keine Kenntnis von den antisemitischen Äußerungen Pfitzners hatte. Heute würde er nicht mehr vorschlagen, eine Straße nach dem Komponisten zu benennen.

> So kam es zur Umbenennung: 1976 wohnte Hans Rectanus noch in Schriesheim (heute in Wilhelmsfeld) und lehrte an der Pädagogischen Hochschule Musik und ihre Didaktik. Als damals über die Straßennamen im Neubaugebiet diskutiert wurde, fragten ihn der damalige Bürgermeister Peter Riehl und etliche Stadträte, ob er nicht noch einen Komponisten kennen würde. Ihm fiel zuerst Friedrich Silcher (1789-1860) ein, der heute vor allem für seine Lieder wie "Ännchen von Tharau" oder "Der Mai ist gekommen" berühmt ist und die Chöre heute noch gern singen. Das fand Rectanus für die "Männerchorhochburg" Schriesheim ganz passend, doch "das verlief im Sande". Dann fiel ihm ein Komponist mit Schriesheim-Bezug ein: Hans Pfitzner. Der hatte die Bühnenmusik zum Ritterschauspiel "Käthchen von Heilbronn" aus der Feder Heinrich von Kleists geschrieben – für die Inszenierung Max Reinhardts, mit der das Deutsche Theater in Berlin 1905 eröffnet wurde. Das fand damals einhellige Zustimmung, wie sich Rectanus erinnert. Zumal man "den bisherigen Dreiklang Strahlenburg, Heinrich-von-Kleist- und Kätchen-von-Heilbronn-Straße mit einer Hans-Pfitzner-Straße zu einem Vierklang erweitern würde".

Damals waren die antisemitischen Äußerungen Pfitzners kaum bekannt, vor allem diejenigen nicht, die aus heutiger Sicht besonders verwerflich sind: Mitte 1945 schrieb Pfitzner in der "Glosse zum Zweiten Weltkrieg", dass nicht das Warum des Holocausts das Problem gewesen sei, sondern das Wie. Diese Glosse wurde erst 1987, also elf Jahre nach der Straßenbenennung in Schriesheim, als viertes Buch der gesammelten Pfitzner-Schriften publiziert.

Für Rectanus ist das "eine furchtbare Schrift", in seinem ganzen Frust über sein eigenes berufliches Scheitern und die deutsche Niederlage habe Pfitzner den Holocaust relativiert: "Erst nach dem Krieg wurde Pfitzner zu einem richtigen, zu einem aggressiven Antisemiten", findet Rectanus heute. Und auch seine unverbrüchliche Treue zum Massenmörder Hans Frank, dem "Schlächter von Polen", der in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Tod verurteilt wurde (und an den Pfitzner in die Haft schrieb), sei heute kaum mehr nachzuvollziehen – aber damit zu erklären, dass Frank einer der wenigen Gönner Pfitzners im NS-Regime gewesen sei.

Für Rectanus ergab sich die Frage, "wieso jemand so wunderbare Lieder schreiben kann und sich dann bei den Nazis so anbiedert, wenn es um sein Werk geht". Mithilfe eines befreundeten Psychologen kam der heute 86-Jährige zu dem Schluss, dass Pfitzner eine gespaltene Persönlichkeit gewesen sein muss. Und zwar auch politisch und im Umgang mit Juden: Einerseits wanzte er sich an die Nazis heran, andererseits machte er sich über sie lustig und verachtete sie – er war auch nie Parteimitglied; einerseits hetzte er über das "Weltjudentum", andererseits versuchte er alles, um seinen Jugendfreund Paul Nikolaus Cossmann aus der KZ-Haft zu holen.

Würde Rectanus heute noch mal vorschlagen, eine Straße nach Pfitzner zu benennen? "Nein, das würde ich heute nicht mehr machen." Angesichts der Straßenumbenennungen in anderen Städten schwante Rectanus, dass es eine solche Debatte auch in Schriesheim geben würde. Und doch plädiert er, dass die Straße ihren Namen behält, allerdings ist er für eine Erklärtafel – nach Wiener Vorbild. Denn man müsse das "großartige Werk Pfitzners", also seine Lebensleistung, würdigen und das von der problematischen Person entkoppeln. Auch wenn Rectanus zugibt, dass die antisemitischen Äußerungen mittlerweile den Komponisten Pfitzner überlagern.

> Nach wem die Straße benannt werden könnte: In der RNZ vom Samstag wurden zwei Vorschläge genannt, beide Personen haben einen starken Schriesheim-Bezug. Erstens der badische Staatspräsident Anton Geiß, der von 1933 bis 1944 seine letzten Lebensjahre in Schriesheim verbrachte. Frieder Menges weist darauf hin, dass Geiß zunächst mit seiner Frau Karolina im Kreisaltenheim wohnte. Er zog nach ihrem Tod 1935 in die Heidelberger Straße 14 um, wo er am 3. März 1944 an einem Schlaganfall starb. Seit 1950 pflegt die Schriesheimer SPD das Grab von Geiß auf dem Friedhof. Auf Menges’ Betreiben erinnert seit Mai 2016 eine Tafel am Altstadt-Haus an Geiß, der sich in den unruhigen Revolutionszeiten nach dem Ersten Weltkrieg als ein Mann des Ausgleichs bewährt hatte. Deswegen stellte die FDP bereits 2014 einen Antrag, eine Straße nach ihm zu benennen.

Auch Karl Heinz Klausmann wäre eines Straßennamens würdig – sagt Professor Joachim Maier, der dessen Lebensweg nachzeichnete: 1922 als uneheliches Kind Mannheimer Juden geboren, wuchs er bei einer Schriesheimer Pflegefamilie im Mainzer Land auf, die ihn adoptierte und evangelisch taufen ließ. Wegen seiner leiblichen Eltern galt er als "Volljude" und musste seine Lehre abbrechen, 1942 drohte ihm die Deportation in ein Vernichtungslager. Klausmann konnte nach Frankreich fliehen und schloss sich dort der Résistance an. Auch nach der Befreiung von den deutschen Besatzern kämpfte er weiter – erst im Elsass und dann in Südostfrankreich. Er fiel am 14. April 1945 bei Castillon.

Als Namensgeber wäre auch Georg Rufer denkbar: Er war der letzte Bürgermeister der Weimarer Republik, bis er vom Nationalsozialisten Fritz Urban 1933 abgelöst wurde. Als der nach dem Krieg von der US-Besatzungsmacht des Amtes enthoben wurde, musste Rufer wieder ran. Über ihn informiert die ehemalige Stadtarchivarin Ursula Abele im Jahrbuch 2001.

Rufer galt als ein Mann des Ausgleichs – er regierte mit wechselnden Mehrheiten –, als ausgewiesener Verwaltungsfachmann und als Macher: Unter ihm wurde in den Wohnungsbau investiert, er weihte 1927 das Kriegerdenkmal in der Bismarckstraße ein und reaktivierte 1926 den Mathaisemarkt. Und er war absolut unbestechlich: Als sein eigener Sohn nach fünf Jahren aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte, verweigerte Rufer ihm nach dessen Heirat eine eigene Wohnung. Seine Begründung: Andere Familien, die schon lange darauf warteten, sich aus den beengten Behausungen zu befreien, hätten schlicht Vorrang.

Hintergrund:
Georg Rufer: Der gebürtige Schriesheimer kam 1920 ins Bürgermeisteramt, allerdings lässt sich nicht ganz klären, ob er SPD-Mitglied gewesen war (nach 1945 sicher nicht mehr). Die 1928 neu gegründete NSDAP-Ortsgruppe machte Rufer, der die Weimarer Republik stets verteidigte, das Leben schwer. Am 16. März 1933 entzog ihm die NSDAP-Mehrheit im Gemeinderat die Polizeigewalt, zwei Tage später wurde er in den Urlaub geschickt, sechs Monate darauf wurde er entlassen, er musste bis 1943 um seine Pension kämpfen, da er als "politisch Unzuverlässiger" keine Anstellung mehr fand. Einen Tag, nachdem US-Truppen Schriesheim besetzt hatten, wurde Rufer am 28. März 1945 von ihnen als Bürgermeister eingesetzt. Er wurde zunächst 1946 vom Gemeinderat bestätigt, dann 1948 mit 75 Prozent von den Bürgern gewählt. Er gab sein Amt aus gesundheitlichen Gründen 1952 auf und starb im Jahr drauf. hö

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Der bisherige Namensgeber: der Komponist Hans Pfitzner (1869-1949), der wegen antisemitischer Äußerungen, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, in Verruf geraten ist. In anderen Städten wurden Straßen umbenannt. Foto: rnz

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Umbenennungsalternative 1: der als Jude geborene Karl Heinz Klausmann (1922-1945), der in Schriesheim bei Pflegeeltern aufwuchs und sich auf der Flucht vor der Deportation der Résistance anschloss. Foto: rnz

Autor: Rhein-Neckar-Zeitung