Schriesheim im Bild 2023

08.11.2004

Die Kinder malen keine Blumen mehr

Die christliche Palästinenserin Faten Mukarker berichtete bei den Grünen über ein Leben ohne Würde

 


Faten Mukarker in Schriesheim. Foto: Dorn

Schriesheim. (doro) Mit den Worten "Geh und rüttle die Deutschen wach. Lieben sie unser Land, dann werden sie nicht schweigen" brach die christliche Palästinenserin Faten Mukarker zu ihrer Reise auf. Nicht etwa ihre Familie oder palästinensische Bekannte hatten ihr diese Hoffnung mit auf den Weg gegeben. Es waren israelische Freunde, die wie Mukarker davon überzeugt sind, dass Frieden in Nahost nur dann möglich ist, wenn beide Völker aufeinander zugehen. Am Freitagabend berichtete Faten Mukarker auf eindringliche und bedrückende Weise von ihrem Alltag in der Stadt Beit Jala, nahe Bethlehem.

"Das Thema hat gerade jetzt wieder sehr an Aktualität gewonnen: Jassir Arafat liegt im Sterben, Bush ist wieder gewählt", so die Schriesheimer Grünen-Stadträtin Gisela Reinhard in ihrer Einführungsrede. Zur Veranstaltung, organisiert von der Grünen Liste Schriesheim, kamen mehr als 40 interessierte Bürger.

Faten Mukarker ist in Bethlehem geboren. Ihre Eltern sind aus dem Heiligen Land nach Deutschland ausgewandert. Dort hat Mukarker auch ihre Jugend verbracht. Mit 20 Jahren ist sie nach Palästina zurückgekehrt, um zu heiraten. Seit fast 30 Jahren lebt sie nun schon mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Beit Jala. Seit Beginn der zweiten Intifada im September 2000, der so genannten Al-Axa-Intifada, sind die Nachbarorte Jerusalems, Bethlehem und Beit Jala, immer wieder bevorzugte Ziele israelischer Angriffe. Seitdem ist der Tourismus, die Lebensquelle insbesondere von Bethlehem, fast völlig zum Erliegen gekommen. Nun leben fast 70 Prozent der Einwohner unter der Armutsgrenze.

Sie schilderte in groben Zügen die Entwicklung des schier unlösbaren Konflikts aus der Sicht ihres Volkes. Vor vier Jahren entfachte Ariel Sharon die Zweite Intifada. Die letzten Jahre haben Faten Mukarker und ihre Großfamilie sehr geprägt. In den Medien würde über eine Friedenspolitik berichtet, in Wirklichkeit handelte es sich um Siedlungspolitik. "Die neueste israelische Siedlung wurde auf einem Hügel in Bethlehem errichtet. Der einzige Wald der Stadt wurde abgeholzt. Die Siedler haben dort grünes Gras, Swimming-pools und eine hervorragende Wasserversorgung", erzählt Mukarker. Die Palästinenser werden nur alle zehn Tage mit Wasser versorgt. Und das mitten in der Nacht. Es muss schrecklich sein, wenn man tagelang keine Toilettenspülung benutzen kann. Bei einer Friedenslösung sei die gerechte Verteilung von Wasser ein sehr wichtiger Gesichtspunkt. Vor anderthalb Jahren schlug im Nachbarhaus der Familie eine Bombe ein. Nur durch Zufall wurde niemand verletzt. Beerdigungen stehen seit Jahren auf der Tagesordnung. "Unsere Kinder haben aufgehört, Blumen und Bäume zu malen", so Mukarker, "stattdessen malen sie den Krieg und sammeln Sprengkörperteile."

Die Zustände sind chaotisch. Daran ist die in diesem Jahr errichtete Mauer, die eigentlich keine Sicherheitsmauer, sondern eine Landenteignungsmauer ist, nicht ganz unschuldig. Es wurden bisher fast eine Million Bäume entwurzelt, vor allem Olivenbäume. Dabei muss man bedenken, dass Olivenöl ein Grundnahrungsmittel in Palästina ist. Die Mauer trennt nicht nur die Israelis von den Palästinensern, viel wichtiger ist, dass das palästinensische Volk selbst getrennt wird. Nachbarn wurden von Nachbarn getrennt, Familie Mukarker verlor ihren Garten. Die Mauer ist nur wenige Stunden am Tag geöffnet.

Für die Ausreise nach Deutschland benötigte Faten Mukarker einen ganzen Tag. An den Checkpoints, bewacht von jungen israelischen, schwerbewaffneten Soldaten, werden Palästinenser gedemütigt: "Wir werden dazu aufgefordert, uns auszuziehen, auf einem Bein zu hüpfen oder ein Lied zu singen. Dann erst dürfen wir über die Grenze. Mein Ausweis wurde einmal auf den Boden geworfen. Sollte ich es schaffen, ihn mit dem Mund aufzuheben, dürfte ich durch", schildert Faten Mukarker. Nach der Ankunft fühlte sie sich frei: "Ich hatte ein Land hinter mir gelassen, in dem ein Mensch keine Würde besitzt. Mir wurde klar, in welchen Wahnsinn wir leben."

Faten Mukarkers Tochter hat vor einiger Zeit ein Bild gemalt. Als die Mutter fragt, was man darauf sehen kann, antwortet das Kind: "Die da oben müssen den Befehl geben, mit dem Schießen aufzuhören. Wir Kinder spielen dann schon alleine miteinander."

INFO: Wer mehr über diese mutige Frau und ihr Leben erfahren möchte, dem sei das Werk "Leben zwischen Grenzen", aus der Reihe "Edition Zeitzeugen", ans Herz gelegt.

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Autor: Rhein-Neckar-Zeitung